Gedichte, Parasitenpresse, Köln
Mira Mann schreibt Schichten in Geschichten und schichtet ab, frei, nähert sich, ist eine Suchende. Ihre Stimme schält sich aus tausend Gestalten, die erstehen, zerfallen, sich neu bilden. Es sind die Zwischentöne, in denen die Gewissheit mäandert. Verstehen, eintauchen, so nah ranzoomen wie möglich. Dabei Distanz wahren, um Nähe zu beschreiben. Sie setzt sich aus. Sie will dahin, wo das Eis dünn wird, dahin, wo es weh tut. Sie sagt, was sie sagen kann, und hört dort auf, wo sie mit der Sprache nicht mehr weiterkommt.
Ein Raum für Verletzlichkeit, der sich roh und pur ausbreitet, grenzenlos, bevor er sich in Nebel tarnt, eine Auflehnung, eine Flucht nach vorne, nicht entziehen will sie sich, der Raum dehnt sich aus, antastbar, unvorhersehbar, wie das Verlangen, eine zärtliche Landschaft.
Ihre Sprache vibriert an den Körperwänden und Herzkammern, den geschmückten und gefeierten Grenzen, sie fließt über die Haut ab in den Mund, in das Ohr, in die Bewegung, fließt zurück in das limbische System, zurück in die Zersplitterung in tausend Adern. Wie fühlt sich da:zwischen an? Loops, schweben, drehen, wenden, solange bis sich die Welt zu ihr durchdrückt. Dann nochmal von vorne.
In ihren Büchern, in ihrer Musik, in ihren Perfomances kreiert Mira Mann elektrisierende Rhythmen, die leise atmen, ganz wie von selbst den Takt vorgeben, Bewusstseinsliebkosungen.
Nach „Gedichte der Angst“, „Komm einfach“ und „Kontrolle“ legt sie mit „Lovesongs“ ihren vierten Gedichtband in der Parasitenpresse vor, nach rot, gelb, blau nun grün.
Blicke aushalten, die eigenen, die anderer, sie dehnen sich und bleiben haften auf der Haut, Mira Mann schaut genau hin, arbeitet akkurat, seziert weich, verknüpft Kosmen der eigenen Identität. Sie folgt den Dingen intuitiv, die sie erzittern lassen, rasend vor Angst und Sehnsucht, die sie nicht ganz versteht, die wir nicht ganz verstehen, die da ist, solange sie unerfüllt bleiben, die sich transformieren und immer neue Wege bahnen, das Ankommen im Gehen, Sinnhaftigkeit im Prozess, ablösen, auflösen.
„Mach mich weich
Wühl mich auf
Leg mich frei“
Liebeslieder an das Leben, Liebeslieder an die Zweifel, das Große und Leise und Erstaunliche und das Banale, die Zwischenräume, Leerstellen, die Scham, die Überforderung, die Ausdehnung und Endlichkeit. „Sie hatte nur diesen einen Körper, es kam ihr wenig vor“, heißt es. Spürbar die Lust an der Grenzüberschreitung, ich spüre, ich rieche, ich schmecke, ich gebe mich hin. Die Frage nach dem ich und dem wir und dem ich im wir. Den eingeschriebenen Erzählungen in den Hautschichten, flirrende Energiefelder, es sind nicht nur du und ich, es ist immer auch das andere. Das zarte Unverständnis an der Welt.
„Ich lasse die Wiederholung in meinen Körper, ich stelle keine Fragen, ich komme mit“, schreibt Mira Mann. Und wir? Wir auch.
Anne Stukenborg, Literaturbetreiberin, München, Köln